Samstag, 2. Juli 2011

Darf Ihr Kind noch Kind sein?

"Arme Superkinder
Ungestört Spielen war einmal - heutzutage werden Kinder ständig beobachtet, müssen Normen erfüllen und Schlüsselkompetenzen nachweisen. Bereits die Kleinsten singen auf Englisch oder kommen zum Bewegungstherapeuten, wenn es mit dem Rollerfahren nicht recht klappen will. Kaum in der Schule, wird gezittert: Klappt der Übertritt auf das Gymnasium? Nachhilfe wird zum ständigen Begleiter vieler Schullaufbahnen."

Die Therapiewut nimmt immer groteskere Züge an. Ihr Kind kann nicht "gut" malen? Dann ist es ein Fall für die Klapsmühle. Ihr Kind ist lebhaft? Das muss ADHS sein. Ihr Kind ist still und zurückhaltend? Dann ist es erst recht verhaltensauffällig. Ihr Kind ist begabt? Dann sind Sie eine Eislaufmutter oder ein Eislaufvater. Sie müssen dem "Blag" es antrainiert haben. Ihr Kind hat Lernprobleme? Dann ist es doof und bekommt vom Klassenlehrer die gymnasiale Eignung nicht bescheinigt. Ihr Kind hat sich gegen verbale und tätliche Angriffe gewehrt? Dann ist es aggressiv und braucht eine Sozialtherapie. Am besten schickt man die ganze Familie gleich zur Familientherapie. Für jeden eine Couch und bloß kein gemeinsamer Austausch. Ihr Kind hat etwas gut gemacht. Ein Fortschritt war zu erkennen. Sie können nicht loben und nöllen lieber? Sie sehen das Negative oder das, was Sie betrachten? Haben Sie Ihrem Kind jemals gesagt, wie toll es etwas gemacht hat?

Lassen Sie sich von Erziehern und Lehrkräften nicht irritieren. Sie urteilen oft falsch, voreilig und haben gerne "pädagogisch wertvoll" im Kopf. Angelerntes Wissen ersetzt Empathie nicht und kann zu Schablonendenken führen. Sie kennen Ihr Kind am besten und dürften wissen, was Sie ihm zutrauen können.

In Elternzeitschriften und Erziehungsratgebern erscheinen Tabellen. Dann und dann muss ein Kind das oder das können. Viele Eltern lassen sich davon verunsichern oder Eltern setzen sich gegenseitig unter Druck. "Mein Kind kann schon..." "Dein Kind ist noch nicht sauber und macht noch in die Windeln?"

Einer meiner Neffen war ein "bequemes" Baby. Mit sechs Monaten konnte er sitzen. Mit einem zufriedenen Lächeln saß er wie ein kleiner Buddha und lutschte hingebungsvoll alles ab, was er in die Finger bekam. Die Krabbelphase ließ er aus. Mit dem Sprechen ließ er sich Zeit. Die Familie war in größter Sorge über dieses "faule" Kind. Es müssen Entwicklungsstörungen vorliegen. Mit ca. 18 Monaten stand er auf und lief. Zeitgleich fing er an zu sprechen. Babysprache gab es für ihn nicht. Der Junge ist heute eine Sportskanone und redet wie ein Wasserfall.

Ich kann bis heute nicht gut malen (für Kandinsky oder Picasso würde es eventuell reichen) und hatte einen Zeichenlehrer, der den malunbegabten Kindern die Konturen vormalte. Wir brauchten nur noch ausmalen. Sein Standardspruch: "Talent fällt nicht vom Himmel und ohne malen kommt ihr prima durchs Leben." Wahrscheinlich hat er uns damit die malerische Fantasie genommen. Wir waren ihm dankbar für seine Hilfestellung. Niemand kann alles können und das muss auch niemand.

Im Gymnasium hatte ich einen Klassenkamerad, der in Deutsch und in den Fremdsprachen Schwierigkeiten hatte. In Mathe war er eine Leuchte. Ich konnte, was er nicht konnte und er konnte, was ich nicht konnte. Wir dachten, dass wir es nicht können. Warum nicht ergänzen? Wir konnten. Wir bildeten ein Team und haben uns gegenseitig Nachhilfe gegeben. Gemeinsame Lernhilfe. Gibt es das heute noch? Er konnte Mathe anschaulicher und lebhafter erklären als der Mathelehrer und von mir bekam er die Sprachlexion. Die Lehrer staunten über den positiven Wandel. Es mangelt nicht unbedingt an den Fähigkeiten. Die Vermittlungsweise kann entscheidend sein.

Kinder werden früh unter Leistungsdruck gesetzt. Manch einen trifft ein Stigma. Sätze wie: "Du bist zu doof für Mathe", "Ein Mädchen/ein Junge kann das nicht"  können vernichtend sein, wenn man es demjenigen lange genug eingeimpft hat. Neuerdings gehen Headhunter an die weiterführenden Schulen und sieben sich das "Material" aus.

Schon im Kindergartenalter schickt man Kinder in alle möglichen Kurse. Kindergarten, Mittagessen, fast jeden Nachmittag ein Kurs zur Förderung und Weiterbildung. Es bleibt keine Zeit mehr übrig, um sich mit anderen Kindern zu treffen und zu spielen. Kinder haben teilweise einen Terminkalender wie ein Manager. "Was, deine Kinder lernen keine Geige? Man muss das musische Talent fördern."  "Nö, die Bande ist lieber im Sandkasten, hat sich mit ein paar Eimern Wasser bewaffnet und matscht". Backe, backe Kuchen. Die Waschmaschine und die Dusche werden es richten. Wenn einer darüber meckert sagen sie einfach: Das fördert die taktile Wahrnehmung. Ein schmutziges Kind grenzt heute fast an Kindsvernachlässigung.

Kinder entdecken ihre Talente von selbst. Man sollte sie machen lassen und ihnen eine Chance geben. Kennen Sie die Sätze: "Du sollst es mal besser haben als ich. Solange du deine Füße unter meinen Tisch stellst..." Übersetzt bedeutet es: "Ich will das für dich, was ich nicht hatte und meinen Vorstellungen entspricht." Und wer sagt uns, dass das Kind das will?!

"Solange du deine Füße unter meinen Tisch stellst" habe ich spaßeshalber zu meinen Kindern gesagt. Mir war ihre Reaktion wichtig. Sie zogen die Füße weg und rückten seitlich auf die Stühle. "Unsere Füße sind nicht mehr unter dem Tisch. Wir haben nicht gestanden." Ich fand die Reaktion himmlisch. Es endete in einem gemeinsamen Lachanfall. Diese kleinen Wortklauber. Kinder können Wortklauber sein. Sie packen uns. Sie hinterfragen uns. Dazu haben sie allen Grund. Sie machen uns wach, wenn wir es zulassen. Pädagogisch wertvoll fand ich schon immer zum.... Na, Sie wissen schon.

2 Kommentare:

DasLyrischeIch hat gesagt…

Zugegeben, es wird uns heutzutage auch nicht mehr leicht gemacht, Kind zu sein.

Ich bin jetzt 16, das ehemalig goldene Alter.
Aus meiner Jugend, bin ich längst raus, das Abi winkt schon in naher Zukunft, Berufswahl, Erfolgsdruck in der Schule, die ständige Angst der Erwachsenen, sie würden uns nicht gut genug auf das “harte Leben” vorbereiten.
Jetzt bin ich also aus der Jugend fast wieder raus, ohne Freundin, ohne Parties, ohne Erfahrungen auf sozialer Basis, seien es positive oder negative.

Das Leben ist die beste Vorbereitung auf das Leben.

Ich stehe vor meinem Spiegelbild, und plöztlich wird mir klar, dass ALLES was ich je wollte, nicht so funktionieren kann wie ich es versuche, weil es nicht der Natürlichkeit der Dinge entspricht. Die Erwachsenen greifen zu sehr ein, versuchen zu sehr uns zu bestimmen, nehmen uns zu ernst, spannen uns zu sehr ein. Sind zu hart, erwarten zu viel.

Damals, als mein Vater Kind war, da war die Welt noch in Ordnung.
Abends weg bis es dunkel war. Und keiner wusste wo. Einfach umherziehen, ohne Handy.
Freunde treffen. Wirklich treffen. Nicht Facebook. Zusammen herzlich lachen, nicht “LOL” auf die Pinnwand schreiben.

Was unterschied die Eltern damals von den unseren?
VERTRAUEN in die Kinder. “Wird schon nix passieren. Und selbst wenn, dann tutßs halt mal eine halbe Stunde weh, aber man hat daraus gelernt.”

Die Jugend ist eine unbeschwerte Zeit. Wer soetwas glaubt muss extrem naiv sein.
Aber zumindest sollte die Jugend ein schöne Zeit, ein unvergessliche Zeit, eine Zeit mit höhen und tiefen, einfach

die beste Zeit im Leben

sein.

Doch spätestens wenn die Kinder heutzutage in den Kindergärten der Reichen chinesisch lernen, um später einmal “mitreden” zu können, muss jedem klar werden, dass die unbeschwerte Zeit heutzutage endet, noch bevor man auf der ersten Sprosse des Klettergerüstes angekommen ist.

Wäre ja auch viel zu gefährlich.


Bless you, das lyrische Ich

Ethanol Kamin hat gesagt…

Ich kann nur sagen, dass ich als Kind in der Schule schlecht war. Ich kam mit diesem Druck, der zugegeben seinerzeit noch nicht sooo extrem war, nicht klar.
Gelernt habe ich im Leben, vor allem nur das in konzentrierter Form was ich wirklich brauchte.

Obwohl wir als Kinder im Dreck gespielt haben, unsere Schnuller nach dem Bodenkontakt nicht ausgekocht wurden, wir nicht alle 2 Wochen beim Kinderarzt waren, leben wir alle noch.
Und das denke ich ganz gut.

Kinder sind heute keine Kinder, sie sind das gleiche wie ein Auto oder eine Handtasche.
Ein Schmuckstück, es muss das beste schlauste und schönste sein.........ein Aushängeschild.

Wie es den Kindern dabei geht, es völlig egal!