Sonntag, 26. April 2009

ARGE- oder arge Zustände?

Da niemand zu den ARGEN alleine gehen sollte, gibt es hilfsbereite Menschen, die die Erwerbslosen ehrenamtlich begleiten. Das sollten die Erwerbslosen nutzen, bei Regionalpresse
und -sendern nachfragen oder sich im Netz über Initiativen kundig machen. Auch Verwandte, Freunde und Nachbarn können behilflich sein und sich Notizen machen:
"Bericht von einer ARGE-Begleitung am 23.04.2009
Treffpunkt um 7 Uhr vor der ARGE, da Herr X seit Anfang dieses Jahres kein Geld mehr bekommen hat (keine Miete, kein Regelsatz, nicht mehr krankenversichert) und auch keinen Termin hat; d.h. wir müssen uns unten an der Rezeption anstellen. Da ich selbst um 10.30 Uhr einen Termin beim Zahnarzt habe, wollen wir so schnell wie möglich dran kommen, zumal der Fall sehr kompliziert ist.

Herr X weiß auch nicht, warum er seit Anfang dieses Jahres kein Geld mehr bekommt (er hat nie Post von der ARGE erhalten). Er ist offensichtlich in schlechtem Gesundheitszustand (5
Schlaganfälle in den letzten 14 Monaten). Als er mal alleine bei der ARGE nachgefragt hatte, wurde er abgewimmelt und geht deswegen jetzt mit mir als Begleitung zur ARGE. Er hat von der Begleitung zufällig über Radio DU (Beitrag über ehrenamtliche Erwerbslosen-ARGE-Begleitung) erfahren.

Wir ziehen unten an der Rezeption eine Nummer. Nach etwa einer halben Stunde leuchtet unsere Nummer auf und wir gehen in die Rezeption hinein. Dort fragt Herr X nach dem Grund für sein oben dargestelltes Dilemma. Es wird ihm/uns mitgeteilt, daß er 2 Einladungstermine nicht wahrgenommen hätte und deswegen die Leistungen ganz eingestellt wurden. Von diesen
Einladungsterminen wusste er nichts und er möchte so schnell wie möglich wieder in den
Leistungsbezug, zumal sich mittlerweile die Mietschulden häufen und er nicht zum Arzt gehen kann wegen fehlender Krankenversicherung. Wir sollen im Warteraum Platz nehmen, bis wir (von einer anderen Tür aus) wieder aufgerufen werden.

Nach einiger Zeit werden wir aufgerufen und nehmen Platz. Die Sachbearbeiterin
(Gruppenleiterin?) druckt uns die Schreiben aus, die dieses Dilemma verursachten:
· Schreiben vom 15.01.09 von der Fallmanagerin, aus dem hervorgeht, daß Herr X auf
Einladungen zum 10.12.08 und 14.01.09 nicht reagiert hat und deswegen die Leistungen gem. § 331 I Satz 1 SGB III i.V.m. § 40 I Nr. 2 SGB II vorläufig eingestellt werden, da die ARGE nun davon ausgeht, daß keine Hilfebedürftigkeit bzw. Interesse an Arbeitsvermittlung besteht
· Schreiben vom 17.03.09 von der Leistungsabteilung über die Aufhebung der Entscheidung über die Bewilligung von Hartz4-Leistungen rückwirkend ab 01.02.09 nach § 7 I, § 8 und § 9 I SGB II und § 48 I Satz SGB X i.V.m. § 40 I SGB II und § 330 III SGB III
· Schreiben vom 17.03.09 von der Leistungsabteilung über die gänzliche Versagung der
Leistungen wegen fehlender Mitwirkungspflicht nach §§ 60 und 66 SGB I.

Alle diese Schreiben hat Herr X aber nicht bekommen! Sein Briefkasten wird ständig aufgebrochen (er wohnt neben einer Gaststätte und der Briefkasten ist nicht am Haus, sondern direkt an der Straße). Das hatte er der Fallmanagerin mitgeteilt. Er hatte deswegen seine Handy-Nummer der ARGE gegeben, damit er nach der Zusendung von Briefen auch etwa 2 Tage später von der ARGE angerufen wird, um den Zugang eines solchen ARGE-Briefs auch zu bestätigen.

Das sei aber nicht Aufgabe der ARGE, meinte die Sachbearbeiterin. Jeder ARGE-Kunde müsse
schon selbst für seine postalische Erreichbarkeit sorgen. Deswegen wurden diese Briefe ja auch alle mit Postzustellungsurkunde (Briefträger bestätigte schriftlich den Einwurf der Briefe in den
Briefkasten) abgeschickt. Ich entgegnete, daß Herr X aufgrund seiner der ARGE bekannten gesundheitlichen Situation dazu nicht in der Lage war und die komplette Einstellung der Leistungen völlig überzogen sei. Mein Ersuchen nach einer Soforthilfe wurde abgewiesen.

Wir könnten aber einen Antrag auf Weiterbewilligung der Hartz4-Leistungen so schnell wie möglich (ab heute, 23.04.09) stellen und aufgrund der uns ausgehändigten Schreiben (siehe oben) die rückwirkenden Zahlungen für Februar, März und 01.04.09 bis heute (23.04.09) beantragen mit dem Hinweis auf seine mangelnde postalische Erreichbarkeit. In jedem Fall müsste aber Herr X für seine postalische Erreichbarkeit ab sofort sorgen. Unser Vorschlag: Postfach bei der Post bezahlt von der ARGE. Darüber ließe sich reden, meinte die Sachbearbeiterin.

Für den Antrag auf Weiterbewilligung der Hartz4-Leistungen wurden wir dann per Kundensteuerung in die 3. Etage verwiesen. Als wir in der 3. Etage saßen, meinte Herr X zu mir, daß er bei seiner alleinigen Vorsprache weder die oben angeführten Schreiben bekam, noch auf den Weiterbewilligungsantrag hingewiesen wurde, sondern er abgewimmelt wurde. Nach einiger Wartezeit in der 3. Etage fragte man uns, ob wir einen Termin hier hätten. Wir antworteten verdutzt, daß man uns von der Rezeption hierhin verwiesen hätte wegen der Weiterbewilligung von Hartz4-Leistungen. Davon wusste man aber in der 3. Etage nichts.

Schließlich wurden wir in ein Büro geführt. Von dort führte die dortige Sachbearbeiterin ein
Telefongespräch mit der Rezeption. Schließlich lag der Fall ihr dann danach am PC vor. Endlich
bekamen wir den Vordruck für die Weiterbewilligung der Hartz 4-Leistungen ab heute (23.04.09) ausgehändigt. Mit weiteren Telefonaten erkundigte sich die Sachbearbeiterin nach der Möglichkeit einer unbürokratischen finanziellen Soforthilfe (inkl. Krankenversicherung), was aber abgelehnt wurde.

Danach setzte ich mich noch kurz mit Herrn X zusammen. Weiteres Vorgehen: Da ich sowohl Freitag, 24.04.09 als auch Montag, 27.04.09 verhindert bin, treffen wir uns am Dienstag, 28.04.09 um 8 Uhr vor der ARGE mit folgenden Unterlagen:

· Antrag auf Weiterbewilligung der Hartz 4-Leistungen ab 23.04.09 (Herr X füllt ihn selbst aus, wozu er auch in der Lage ist, weil wegen mangelnder sozialer Änderungen fast alles mit Nein
angekreuzt werden muß)
· Antrag auf rückwirkende Leistungen vom 01.02.09 bis 23.04.09 unter Bezugnahme auf die oben dargestellten 3 Schreiben, die sein Dilemma auslösten (diesen Antrag formuliere ich für ihn und nehme die 3 Schreiben der ARGE mit nach Hause, kopiere sie für ihn)
· Kostenvoranschlag der Post für die Einrichtung eines Postfachs auf Kosten der ARGE

Fazit:
·Nichts für schwache Nerven, zumal man als selbst Betroffener spürt, wie schnell es bergab geht.
Wer sein Wohnumfeld und/oder seine Gesundheit nicht mehr in den Griff bekommt (und das kann sehr schnell passieren), der kann ganz schnell rausfallen (Mietschulden, keine Krankenversicherung, Obdachlosigkeit). Eigentlich eine Art Kriegssituation. Wer selbst kämpfen muss und dabei auch noch manchmal in die Rolle des Sanitäters schlüpft, der kann das ganze Elend/Angst eben nur durch strukturiertes Abarbeiten der Aufgaben verdrängen.
·Wir brauchen dringend mehr aktive Begleiterinnen und Begleiter, um diese schwierige Aufgabe auf mehr Schultern zu verteilen. Rechtskenntnisse sind nicht erforderlich, sondern Aufmerksamkeit,Präsenz und strukturiertes Vorgehen (zum Wohle des Betroffenen)."

Wir bedanken uns bei dem helfenden Begleiter für seine ausführliche Schilderung. Der "Kunde" ist bei der ARGE selten König.

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