Donnerstag, 30. April 2009

Das Leben ist schön

oder wie sich das Leben ändern kann. Das hat ein Erwerbsloser geschrieben, dessen Leben sich aufgrund einer Erkrankung geändert hat.
"Anfangen möchte ich mit dem Tag, an dem sich mein Leben drastisch änderte.
Es war ein ganz normaler Morgen. Der Wecker ging früh, da ich im Getränkemarkt die Frühschicht hatte. Ich stand auf und dachte: komisch dir tut der linke Arm so weh. Erstmal musste ich wach werden und auf die Toilette. Da sitzend, betrachte ich mir meinen Arm und dachte: sehr merkwürdiger blauer Streifen an meinem Arm. Da wurde ich schockartig wach. Blutvergiftung ?? Ja klar. Ich hatte mir am Vortag einen Splitter in den Daumen gehauen.

Na gut, sieht ja noch nicht schlimm aus, also erstmal zur Arbeit und Bescheid sagen, was los ist. Ich begab mich zu meinen Schwiegereltern, um zu warten bis mein Hausarzt aufmacht. Ich bekam ein gutes Frühstück von meinen (Ex)-Schwiegereltern. Leider bekam ich es. Ich fuhr zu meinem Hausarzt. Er sagte, dass sei ein BG–Fall den er nicht behandeln darf und ich fuhr mit meinem Schwiegervater nach Kiel zum Arzt. Er kommt nach 30 Minuten Wartezeit und will anfangen. Als er hört BG, sagt er, das dürfe er nicht und ich solle in die Uniklinik Kiel gehen. Sie dürfen das.

Wir haben uns wieder ins Auto gesetzt. Ich hatte inzwischen Schmerzen zum Wände 'raufrennen. In der Uniklinik musste ich nochmal warten, bis ich dran kam. Meine Frau wusste gar nicht Bescheid. Sie war mal wieder dabei den Rausch vom Vortag auszupennen. Der Arzt wurde blass, als er meinen Arm sah. Komischerweise blieb ich cool. Operieren konnten sie mich nicht, weil ich gefrühstückt hatte. Arzt: „Dann müssen wir noch mindestens 3 Stunden warten."

Ich blieb immer noch cool. Okay. Ich habe mich auf die Pritsche gelegt und geschlafen. Der Wecker hatte ja auch schon um 4:30 h seinen Weckdienst getan. Nach 2 Stunden kam der Arzt wieder, sah sich den Arm an, wäre fast umgefallen und meinte nur: "Ausziehen, OP-Hemd an und 2 Minuten warten." Dann war ich plötzlich und schnell im OP. Ich habe kurz noch rumgealbert mit den Narkoseärzten und weg war ich. Irgendwann wurde ich wach mit Höllenschmerzen. Um mich herum war die halbe Familie. Ach was, alle. Da war mir plötzlich klar: das war ganz knapp.

Danach kam eine Kur in Hamburg-Boberg. Die Klinik war mehr Knast, als alles andere. Die operierte Hand wollte und wollte nicht werden. Das war denen aber egal. Dann mußte ich noch ein paarmal zur Untersuchung in die Neurologie in der Uniklinik in Kiel. Die fanden es komisch, dass die Nerven in der Hand nicht wieder kamen, auch nach der dritten Messung EMG nicht.

Eine EMG ist eklig. Sie jagen einem Strom durch den Arm und messen wie schnell die Nerven den Strom leiten. Messung der Leitgeschwindigkeit der Nerven. Irgendwann kamen sie dann auf die Idee den ganzen Körper mit Strom zu quälen und siehe da: die Beine leiteten den Strom auch nicht. Da nahmen sie mich in 3 Klinikaufenthalten auseinander, bis hin zur Nervenbiopsie. Es brachte alles nichts, außer der Diagnose: Polyneuropathie. Ich fand die Diagnose toll. Das klang ja wichtig. Aber keiner meinte mir erklären zu müssen, was das ist. Ich habe im Internet nachgeforscht: das ist, wenn die Nervenhüllen um die Beine absterben.
Das kann auch durch eine Vergiftung herbeigeführt werden. Toll, es hieß, die BG muss zahlen. Nö, ätsch kein Arzt wollte mir das bescheinigen, also sagte die BG: nö wir zahlen null, nichts, gar nichts.

Es folgte eine erneute Kur, die nichts brachte, außer das ich von der Saufnase von Ehefrau weg war. Kaum Zuhause musste meine Exfrau zur Kur, weil sie einen Herzinfarkt gehabt hatte. Sie erzählte mir vorher aber noch, dass sie mit mir nichts mehr zu tun haben will und schon eine neue Wohnung hat und von der Kur gar nicht mehr nach Hause kommt. 3 Wochen Kur von meiner Exfrau hatten mir dann gezeigt das es ohne sie besser ist. Ich will betonen, dass ich mich mit ihr immer noch gut verstehe, auch wenn sie mit Messern auf mich losgegangen ist. So lebte ich 2 Jahre alleine, mehr schlecht als recht, vor allem als 2 Jahre Krankengeld und ein Jahr ALG 1 abgelaufen waren und ALG 2 kam.

Die Polyneuropathie wurde immer schlimmer. Irgendwann gesellte sich noch ein Restless Legs Syndrom (RLS) dazu. Kommt auch gut. Beine, die sich von alleine bewegen, vor allem mit Vorliebe nachts oder wenn man sich auf die Couch legt, um TV zu schauen.
Beide Krankheiten kommen oft zusammen vor. Das Gemeine ist die Polyneuropathie. Das Gehen geht nicht mehr so gut. Das RLS brüllt aber manchmal. Ich will laufen, bewege die Beine, aber es geht nicht oder sie bewegen sich von alleine. Mein Nachbar beschimpft mich als faul. Ich solle arbeiten gehen. Wenn ich doch gehen könnte, wann und wohin ich will. Dafür braucht man schon ne Menge Humor.

Mit ALG 2 ging das dann auch gut. Ich hatte Rente beantragt und die ARGE ließ mich in Ruhe. Nur einmal meinten die, ich würde zu viel Miete zahlen. Das meinte mein Anwalt aber nicht und hatte die ARGE schnell überzeugt. Ich hatte inzwischen meine Freundin kennengelernt. Einen lieberen Menschen gibt es nicht.

Die Rente wurde abgelehnt, also zogen wir vors Sozialgericht. 6 Wochen vor dem Termin beim Sozialgericht hatte ich einen Bandscheibenvorfall, der sich gewaschen hatte. Auch diesmal wieder mit einer Not-OP. Hat man keine Zeit zum Nachdenken, hat es auch was für sich. Es war wieder mal kurz vor 12 Uhr. Ein Tag länger und ich wäre gelähmt gewesen. Da man im Krankenhaus ja fast wehrlos ist, fand die ARGE es damals toll mir keinen Folgeantrag zuzuschicken. Da ich aber andere Sorgen hatte, merkte ich es natürlich erst als am Ersten kein Geld auf dem Konto war. Mein Anwalt hat es geregelt und meine Freundin besorgte mir zumindest Gutscheine, damit ich was zu essen habe. Ich war inzwischen ja Zuhause.

Vor dem Sozialgericht meinte die Tante Richterin zu mir: "Wir können jetzt zu keinem Urteil kommen.Sie hatten ja vor 5 Wochen den Bandscheibenvorfall. Da ist kein Urteil möglich. Beantragen sie die Rente in einem halben Jahr neu." Oh menno, nicht das auch noch. Na gut, also erstmal abwarten und Tee trinken und ARGE-Termin wahrnehmen. Die Wiedereingliederung sollte ich machen.
Irgendwann war dann auch die Zeit gekommen die Rente neu zu beantragen. Inzwischen war ich fast ein Jahr krank. In der Zeit sollte ich zur ARGE trotz gelbem Schein. Das dann mit Beistand. Was die gute Sachbearbeiterin wissen wollte, hätte sie am Telefon mit mir klären können.

Inzwischen läuft der Widerspruch gegen die Rentenversicherung, die meine Rente natürlich wieder abgelehnt hatte, weil ihr dementer Arzt nicht mehr so ganz wusste, was er tat. Zumindest fand der Gutachter, dass ich mit meinen langen Hahren aussehe wie mit Heiligenschein und wohl ein Märtyrer oder Jesus wäre. Das kriegt der senile Doc auch noch von mir in Form einer Klage aufs Butterbrot. Na ja und nu sitze ich hier am PC und hab mal eben was aus meinem Leben in digitale Form verpackt.

Vergessen will ich aber nicht, dass ich seit geraumer Zeit einen Schwerbehindertenausweis habe mit GdB 60 und Zeichen G. Die ARGE allerdings meinte mir den Mehrbedarf für besondere Ernährung streichen zu müssen, weil Vollkost kann man vom Regelsatz zahlen. Meine Wohnung müßte renoviert werden. Mit meiner Gehbehinderung kann ich es nicht selber machen. Die ARGE verweigert mir die Hilfe."

So kann es geschehen. Man hat jahrelang gearbeitet, überall eingezahlt und steht bei einer Erkrankung, die einen einschränkt, auf dem Abstellgleis. Ich werde immer ärgerlicher, wenn ich lese oder höre: Die leben von unseren Steuergeldern. In dem Moment, in dem man aufsteht, den Lichtschalter betätigt, den Wasserhahn aufdreht, zahlt man Verbrauch-, teilweise Ökö- und immer Mehrwertsteuer. Das zahlen auch die Erwerbslosen für alles, was sie konsumieren, verbrauchen und an Leistungen/Diensten in Anspruch nehmen. Und irgendwo war noch der Eid des Hippokrates.

4 Kommentare:

Apollo und Luna hat gesagt…

Danke das ich das hier bei euch schreiben durfte.
Grüße

Die Spinne

Karlheinz Krass hat gesagt…

Schön geschrieben. Etwas zum Alter fehlt mir in dem Beitrag. Auf jeden Fall alles Gute. Und Gesundheit.

Grüße
Karlheinz

Schwalbe hat gesagt…

@Karlheinz
Ich kenne sein Alter nicht. Ich tippe auf Ü40. Was mir gefallen hat, ist sein Humor, wie er mit seinem Schicksal umgeht und dass er sich getraut hat, dass alles aufzuschreiben und mir anvertraut hat.

Apollo und Luna hat gesagt…

Alter 44 Jahre :-) Geboren am 09.02.1965. Genau genommen.