Wahljahr ist Lügenjahr

Dass die Arbeitslosenzahlen steigen werden, sollte jedem bewusst sein. Heinrich Alt, Vorstandsmitglied der Bundesagentur für Arbeit, macht sich Sorgen um die "Mittelschicht" und deren ungerechte Behandlung. „Ich befürchte, dass im kommenden Jahr die Zahl derer steigt, die in die Sozialkassen eingezahlt haben und dennoch in das Hartz IV System übergehen“, sagte Alt dem Nachrichtenportal WELT ONLINE. Das führe „aus Sicht der Betroffenen zu einem Gerechtigkeitsproblem, ihre Lebensleistung sollte anerkannt werden. Sie sollten im System in irgendeiner Form dauerhaft privilegiert werden gegenüber denjenigen, die ihr Leben lang Transferleistungen bezogen haben“, fordert Alt."

Zuerst sollte man dafür sorgen, dass Hartz IV abgeschafft wird. Es ist für jeden, der länger gearbeitet und eingezahlt hat, ungerecht. Erzählen Sie das den Kumpels, die hier im Pott wegen Zechenschließungen ihre Jobs verloren haben. Die Zechen wurden teilweise mit Wasser geflutet, damit man nicht mehr fördern kann. Erzählen Sie das den Thyssen-, Mannesmann- oder Nokiamitarbeitern (um nur einige zu nennen), die nach x Jahren ihre Jobs verloren haben. Sind sie weniger wert, als jemand aus der "Mittelschicht"? Ich erinnere an Art. 3, Abs 1 GG: Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. Eine Unterscheidung nach Schichtzugehörigkeiten wäre Diskriminierung.

3/4 der Hartz-IV-Empfänger haben eine qualifizierte Ausbildung. Die Jungen werden meist nicht übernommen oder man bietet ihnen Zeit- und Leiharbeit an. Diejenigen, die ihr "Leben lang" Transferleistungen bezogen haben, für die muss es auch eine Aufgabe, eine Chance, eine Möglichkeit geben. Die Kurzarbeit hat man verlängert, damit vor den Wahlen Massenentlassungen verhindert werden. Wahljahr ist nicht nur Lügen-, sondern auch Hinhaltetaktikjahr.

Herrn Alt möchte ich gerne mal ans Händchen nehmen und ihm zeigen, wie viele 1-€-Jobber als qualifizierte Lehrkräfte an den Schulen unterrichten, wie viele ausgebildete Erzieher in Schulhorten und Kindergärten auf 1-€-Basis die Kinder betreuen. Sie machen ihre Jobs oft mit einem stärkeren Engagement, weil sie auf eine Festanstellung hoffen. Pustekuchen. Nach Ablauf der Frist werden sie ausgetauscht. Das ist weder für sie, die sich falsche Hoffnungen machen und demoralisiert werden, noch für die Kinder gut, die sich an ihre Betreuungspersonen nicht gewöhnen können und denen ständiger Personalwechsel mehr schadet, als nützt. Ein 1-€-Jobber ist halt preiswerter. Frau von der Leyen, die sich Sorgen um die Rechte der Kinder macht, jetzt sagen Sie doch auch mal was.

Ganz zu schweigen, was man sich im Pflegebereich leistet. Da werden immer mehr Leute hingeschickt, die man in wenigen Wochen in Crashkursen ausgebildet hat, anstatt ausgebildetes Pflegepersonal einzustellen. In der Bundesagentur für Arbeit ist das nicht anders. Auch dort fehlt qualifiziertes Personal, sonst gäbe es ja nicht so viele falsche Bescheide und Klagen vor den Sozialgerichten.

Vielleicht hat Herr Alt Lust sich Gedanken zu machen, ob das "gerecht" ist:
"Kinder arbeitsloser Eltern werden bei Ferienjobs benachteiligt. Denn auch ihr Einkommen wird weitestgehend auf die Hartz-IV-Sätze der Eltern angerechnet. Ab einem Verdienst von 100 Euro werden Abzüge fällig. Unter solchen Bedingungen lohnt sich ein Nebenverdienst kaum mehr..."

Wenn ich das Gros der Kommentare lese, springen mir mal wieder eine Menge Unwissenheit, Selbstgerechtigkeit, Egoismus und mangelndes Gerechtigkeitsempfinden entgegen oder die Hetze hat gewirkt.