Montag, 18. Januar 2010

Umsonst ist "nur" der Tod?

Täglich werden wir mittels der Medien mit diversen Schreckensnachrichten konfrontiert: Verletzte und Tote durch Unfälle, Katastrophen, Verbrechen, Kriege, Terroranschläge. Viele der Menschen sterben in der Tat "umsonst", weil die Gründe oft menschliches Versagen, sinnlose Kriege und False Flag-Aktionen sind. Um das Ertragen zu können, haben wir eine Schutzmauer oder einen Abwehrmechanismus um uns herum gebaut. Uns betrifft es nicht; für uns ist es weit weg.

Was ist, wenn ein Toter ein nahestehender Mensch ist, den man lieb hatte? Auf eine Todesnachricht reagiert jeder anders. Der Eine verfällt in eine Art fassungslose Schockstarre, der Andere bricht augenblicklich in Tränen aus, der Nächste klopft Sprüche, viele wollen es nicht wahrhaben und sich am liebsten nicht damit beschäftigen.

Zeit für Trauer bleibt den Angehörigen oder engsten Freunden nicht viel, denn es gibt etliches zu erledigen. Man kommt in die Phase des funktionieren müssens. Man muss Angehörige, Freunde, Kollegen informieren. Es gibt reizende Zeitgenossen, die nach dem ersten Moment der (geheuchelten) Betroffenheit fragen, wer erben wird, was es zu holen gibt, ob eine Lebensversicherung existiert und da waren doch so viele Sammlungen? Solche Leute können mir künftig im Mondschein begegnen.

Nach dem der Tod durch einen Arzt festgestellt wurde, muss man die Dokumente für die Meldung des Todesfalles zusammentragen. Ratsam ist, es einem Bestattungsunternehmen zu überlassen. Sie haben Erfahrung damit, nehmen Arbeit ab und man erspart sich manchen Schockmoment. Die Menschen, die am Tod Geld verdienen, können entsprechend unbeteiligt damit umgehen.

Informiert werden müssen Lebens-, Unfall-, Kranken-, Haftpflicht-, Hausrat-, Renten-, Rechtschutzversicherungen, Arbeitgeber, Vermieter, Vereine, Gewerkschaften, GEZ, Strom- und Telefonanbieter und die Banken, die gegenüber dem Finanzamt über alle Kontostände meldepflichtig sind bei einem Wert über 1.200,-- €. Der Staat will schließlich auch am Tod verdienen. Das bedeutet viele Telefonate und viel Schriftverkehr. Der Tod ist nicht gratis.

Man verhandelt mit den Bestattungsunternehmen. Das ist ein Geschäft. Ich war froh, dass mein Lebensgefährte es für mich übernommen hatte. Es gibt tatsächlich ein All-inclusive-Angebot. Die Nerven und die Kraft hätte ich nicht gehabt. Man muss einen mehrseitigen Wust für das Bestattungsunternehmen ausfüllen. Als das gefaxt wurde, hat es mich fast "erschlagen". Mein ältester Sohn hat mir beim Ausfüllen geholfen, weil ich gar nicht mehr klar denken und vor lauter Tränen nicht mehr viel sehen konnte und man mir sagte: "Toll, dass du das machst, ich könnte es nicht". Ich habe bis dato auch nicht gewusst, dass ich das "kann". Ich musste über mich selbst hinaus wachsen.

Die Einäscherung und Beerdigung stand an. Es ist schwer zu beschreiben, was schlimmer ist: die Todesnachricht, das Ausfüllen der Formulare, diese Momente am Friedhof, alle anfallenden Dinge erledigen zu müssen und immer wieder erneut erinnert zu werden. Alles zusammen ist belastend. Es gibt Verwandte, die reisen zur Beerdigung an und fragen, wer ihnen ihre Auslagen erstattet? Solche Menschen konnte ich nur antworten, dass sie sich gerne an den Beerdigungs- und Wohnungauflösungskosten beteiligen dürfen. Hilfe könnten wir auch gebrauchen. Vor ihnen hat man dann seine Ruhe. Am liebsten hätte ich ihnen einen Eimer Wasser über den Kopf geschüttet.

Unsere Erfahrung mit involvierten Firmen: die Mitarbeiter sind durchweg sehr entgegenkommend und anteilnehmend. Die Verträge enden automatisch. Zu viel gezahlte Beträge werden ab dem Todeszeitpunkt erstattet. Leichte Problemchen gab es mit der GEZ (wieso wundert uns das nicht?)und einer Krankenversicherung. Das konnte ich zügig klären. Besonders knuffig und herzig waren die Mitarbeiter der Telekom und der Stadtwerke. Vielen Dank!

Vermieter bestehen i.d.R. auf Einhaltung der Kündigungsfristen. Dieser Vermieter kommt uns entgegen. Manche Leute informieren von sich aus am Telefon, was alles zu klären ist und schildern ihre eigenen leidvollen Erfahrungen bei familiären Todesfällen. Sie können sich nicht vorstellen wie dankbar ich ihnen für ihre menschliche und teilweise galgenhumoristische Art und Hilfestellung war und bin. Wildfremde Menschen, die man nie gesehen hat und wohl nie sehen wird, haben mehr Einfühlungsvermögen, als Familienmitglieder.

Es gibt Menschen, die bieten ihre Hilfe bei der Wohnungsauflösung an. "Ich nehme mir frei, ich helfe, ich beteilige mich an den Kosten und wenn ich einen Kredit aufnehmen muss". Das sind größtenteils hohle Sprüche. Einige kommen einmalig in der Wohnung des Verstorbenen "helfen", nehmen sich mit, was sie gebrauchen können und das war es.

In den Sachen und der Wohnung eines Verstorbenen wühlen und alles aussortieren zu müssen, bereitet Unbehagen. Man hat das Gefühl, man tut etwas Unrechtes. Man fühlt ihn, man spürt ihn, sein Geruch ist noch da. Jeder hat seinen eigenen Geruch und wenn man einen Menschen gut kennt, erriecht man ihn. Das überdeckt kein Deo, kein Parfum, kein After Shave.

Brüderlein, ich weiß, du hast es gut gemeint. Mir und unserer Schwester hast du allerdings keinen Gefallen damit getan, dass wir alles für dich erledigen sollen. Zu deinen Lebzeiten haben wir das gerne gemacht. Du wusstest uns öfter zum Einsatz zu bringen. Klassischer Satz: "Nee, das machen die Weiber. Da weiß ich, was ich habe". Jetzt haben wir dabei einen dicken Kloß im Hals. Deine hinterlassenen Zettelkes und Überraschungen für uns sind ja wohl legendär. Wir schwankten manches Mal zwischen lachen und weinen.

Deine Neffen erfreuen sich an deiner Gitarre, deinen Modellautos, deinem Fußballtick. Die Modelleisenbahn ist bei uns in guten Händen. Das Zimmer deines jüngsten Neffen sieht nun aus wie eine Fußballheimstätte. Er hält deine Fußballerrungenschaften in Ehren. Kinder gehen mit dem Tod gelassener, freier und lockerer um. Vielleicht liegt es daran, dass sie ihr ganzes Leben vor sich haben? Deine Kleidung geben wir zum größten Teil an Bedürftige. Da du gerne gegeben und geschenkt hast, setzen wir dein Einverständnis voraus. Die, denen an dir gelegen ist, haben sich Erinnerungsstücke mitgenommen und ihnen ging es wirklich um die Erinnerung.

Viele deiner Sachen und Gegenstände deiner Sammelleidenschaften haben wir eingelagert. Wir wussten nicht, wohin damit, mochten sie nicht wegwerfen und sehen uns emotional nicht in der Lage sie zu verkaufen. Wenn ich diesen Raum betrete, rieche ich dich. Wir sind immer noch nicht fertig, außer mit den Nerven. Du hast viel gesammelt und gehortet in deinem Leben. Musstest du das alles mehrfach verpacken? Du Messie, du Filou, du Tünnes. Musstest du so früh gehen? Wir hätten dich lieber noch um uns gehabt. Du hast uns nicht gesagt, wie krank du wirklich bist. Wir haben es erst aus einem Ärztebericht erfahren, den wir in deiner Wohnung gefunden haben. Du wolltest uns schonen, hmmm? Vielleicht hätte es noch einen Weg gegeben?

Manche Versicherungen und Behörden bitten wir, ihren bürokratischen, abgestumpften Schreibstil an die Angehörigen zu überdenken, zu ändern und ein wenig mehr Menschlichkeit walten zu lassen. Verwandte und sogenannte "Freunde" sollten besser ihren Mund halten, bevor sie Taktlosigkeiten von sich geben. Menschen, von denen wir Hilfe und Unterstützung erwarteten, haben uns enttäuscht. Menschen, mit denen wir nicht gerechnet haben, standen selbstlos und mitfühlend zur Verfügung. Das hat einen Vorteil: wir wissen, woran wir mit wem sind. Du hast recht gehabt. Du hast die Sippschaft oder Verwandtschaftsmischpoke richtig eingeschätzt.

Wir hoffen, dir gefällt deine Ruhestätte oben auf dem Berg unter dem Baum. Bisher sind wir noch nicht wirklich zum Durchatmen gekommen und es wird dauern, bis wir alles verarbeitet haben. Wir schlafen mit dem Gedanken an dich ein und wachen mit dem Gedanken an dich auf. Die Nächte sind sehr unruhig und mit Träumen behaftet.

Du hast mir mal lachend gesagt, was ich im Falle deines Ablebens tun soll. Ich habe es getan. Das bleibt unser Geheimnis. Das war der Beginn deiner Krankheit, die du verharmlost hast. Ich hielt es für einen deiner makaberen Scherze.

Die Leser, die das alles schon erlebt haben, werden wissen, wovon ich schreibe. Ich hoffe, es hat manchen geholfen mit dem Thema "Tod", leichter umgehen zu können. Mir hat es geholfen, dass ich es aufschreiben kann. Danke fürs Zulesen. Eines Tages müssen wir alle gehen, aber bis dahin gibt es noch viel zu tun. Wir leben. Machen wir das Beste daraus. Wir haben die Verantwortung für die Kinder dieser Welt.

2 Kommentare:

thom hat gesagt…

Herzliches Beileid noch, auch wenn es nicht hilft. Zeigt sich doch in solchen Situationen das wahre Gesicht des einen oder anderen. Das hilft auch beim aussortieren. Wirklich traurig daran sind oft 2 Dinge, der Verlust selbst und die Einsicht, sich mit Ihm, dem Gevatter, nicht genügend befasst zu haben, wo er doch Teil des Lebens ist. Daraus sollte (so man kann) eine Wehrtschätzung des Lebens abgeleitet werden, um das Leben im hier und jetzt real zu erleben, Zuneigung zu schenken,und die später zurückbleibenden auf diesen Moment ein wenig vorzubereiten.

nina hat gesagt…

Ich höre hier sehr viel liebevolles und Verständnisvolles
"Kopfschütteln" über deinen Bruder heraus.
Er ist nicht mehr zu sprechen und man kann ihn nicht mehr berühren, doch er ist weiterhin vorhanden in deinem Leben und in deinen Gedanken und Erinnerungen.
Und in denen deiner Söhne.
Wir alle können nicht wissen, wohin das Innerste von uns nach unserem Tod gehen mag.
Die Möglichkeit besteht immerhin durchaus, das "etwas" von ihm bei dir bleibt und nicht nur in der Erinnerung.
Dass dein jüngerer Sohn sein Zimmer dem gleichen Hobby widmet würde den Onkel bestimmt auch freuen!
Ich bin nicht kirchlich-religiös doch in einer "spirituellen"(?) Art bin ich davon überzeugt, dass das leibliche ErLeben nicht alles gewesen sein kann.
Ich kann es nicht in Worte fassen, nur fühlen und ich denke oft an die Indianer -Schamanen , was die uns alles hätten erzählen können!
ganz lieben Gruß,
inna