Unsere Kanzlerin verspricht "Bildung für alle". Immer, wenn Politiker in den Wahlkampf ziehen, bemühen sie sich besonders um Kinder und Jugendliche. Auf einmal sieht man Frau Merkel und Herrn Steinmeier turtelnd und sich bemühend mit Kindern.
'Das deutsche Bildungssystem begünstigt zu wenige und benachteiligt zu viele - in Kindergärten, Schulen und Hochschulen muss sich vieles ändern', schreibt Spiegel-Online. Den Satz unterschreibe ich sofort.
Kindergärten sollten m.E. nicht als Bildungs-, sondern als Förderungs- und Auslebungsstätte betrachtet werden. Es sollte ein Ort sein, an dem Kinder Kinder sein können. Fähige ErzieherInnen erkennen Entwicklungsdefizite von Kindern. Sie machen die Eltern darauf aufmerksam und bieten Lösungen an. Sei es, dass ein Kind lispelt, in der sprachlichen Entwicklung seinen Altersgenossen nicht das Wasser reichen kann oder der 'Entwicklungsnorm' nicht entspricht, in der körperlichen Entwicklung hinten ansteht, sein (Sozial)verhalten 'auffällig' ist, Wahrnehmungsstörungen bestehen, u.v.m.
Sie können dort im Außengelände toben und sich ausleben, mit Wasser und Sand matschen, ohne dass Nachbarn sich beschweren, mit verschiedenen Materialien basteln, bekommen Spiele und Spielzeuge zur Verfügung gestellt, die sie u.U. von zu Hause nicht kennen. Sie können kochen lernen, Freundschaften knüpfen, ihre kindlichen Bedürfnisse ausleben, wenn sie nicht allzu sehr von den ErzieherInnen ausgebremst werden.
Frau Bundeskanzlerin, ein Kindergarten muss bezahlt werden können. Bei uns werden die Gebühren nach dem Einkommen gestaffelt. Schon sind wir bei der Benachteiligung: wer zur unteren Einkommensgruppe gehört, der kann sich den Kindergarten oft nicht leisten.
' Als der Rektor das Gebäude der Philosophischen Fakultäten passierte, sah er sich aus heiterem Himmel attackiert. Ein dicker Brocken löste sich aus der Betonfassade und krachte auf den Bauzaun neben seinem Kopf. "Das war ganz schön knapp", kommentiert der 64-Jährige.'
Oder:
'Der Alltag an vielen deutschen Bildungsstätten bietet heutzutage ganz neue Herausforderungen. Mancherorts kämpfen Schüler und Studenten in altersschwachen Gebäuden damit, dass es tropft, bröckelt oder zieht.'
In einer Bildungsstätte muss man sich wohlfühlen können. In unserer Ex-Grundschule war in den Klassenzimmern der Schimmel an den Wänden. Der Putz bröckelte. Schimmel kann krank machen und ist besonders schädlich für (Milben)allergiker. Die Stadt war nicht bereit eine Renovierung der Klassenzimmer zu übernehmen, weil es nur alle Jubeljahre vorgesehen ist. Wir Eltern haben das Geld für die Renovierungsmaterialen zur Verfügung gestellt. Jeder hat gegeben, was er konnte. Wir haben den Putz abgekratzt, die Klassenzimmer von innen isoliert, die alten dreckigen schweren Vorhänge mit viel Innenleben weggeworfen, Decken und Wände neu verputzt und nach den Farbvorstellungen der Kinder renoviert. Den Stoff und die Farbe für neue Vorhänge durften sie sich ebenfalls aussuchen. Wir haben die Vorhänge genäht. Das Ergebnis konnte sich sehen lassen.
Damit war das Problem längst nicht gelöst, denn die Feuchtigkeit kam durch die Außenwände. Schon mal deswegen mit Behörden verhandelt? Das dauert! Damit sie schneller werden, haben wir die Regionalpresse und -sender auf das Problem aufmerksam gemacht und die Unterstützung von besorgten Allergologen bekommen. Das hat die Antragsbearbeitungsdauer beschleunigt. Die Außenisolierung wurde vorgenommen. Seit dem fühlen sich die Kinder wesentlich wohler in ihren Klassenzimmern und die Allergiker können besser atmen. Dieses Werk haben wir auch im Schulhort und später im Gymnasium vollbracht. Frau Merkel darf sich gerne mal den Zustand von Schul-WC's anschauen und ich bin bereit für sie auszurechnen, was ein Schuljahr in Zahlen für die Eltern bedeutet: Kosten für Schulbücher, Materialien, Ausflüge, Projektwochen, Pausenverpflegung, Mittagessen, Monatskarten, Klassenfahrten. Sozialschwache können, trotz Vergünstigungen und Unterstützungen, auf Dauer den Kostenwust nicht tragen und sind benachteiligt. Bildung darf nicht vom Geld abhängig sein.
Wir haben ein zu starres Bildungssystem mit festgesetzten Lehrplänen, die nicht auf die Individualität der SchülerInnen eingehen können. Die SchülerInnen haben zu wenig Wahlmöglichkeiten. Wir sollten ein einheitliches Schulsystem bis zur achten oder neunten Klasse haben. Ab dann sollten die Jugendlichen neben ein paar Pflichtfächern nach ihren Neigungen und Interessen entscheiden können. Mit 14 Jahren wissen die meisten, was sie interessiert und was sie am besten können.
"Große Verantwortungsfreude" fordert die Kanzlerin, um "jedem Einzelnen entsprechend seinen Fähigkeiten und Neigungen Einstieg und Aufstieg zu ermöglichen". Das Ziel müsse heißen: "Bildung für alle".
Frau Kanzlerin, das Ziel muss heißen: Bildung für alle nach Begabung ohne Vitamin 'B', ungeachtet der Herkunft und des Einkommens. Es darf nicht sein, dass Kinder bevorzugt werden, weil die Eltern für ein Schulprojekt gespendet haben, deshalb in der Gunst des Rektorats stehen und Kinder aus sozialschwachen Familien benachteiligt werden. Genauer: ein weniger begabtes Kind bekommt den begehrten Gymnasialplatz, während ein begabtes Kind von Geringverdienern das Nachsehen hat. Die weiterführenden Schule haben eine eingeschränkte Aufnahmekapazität. Es stehen nicht genug Räume und Lehrkräfte zur Verfügung.
Es darf auch nicht sein, dass Lehrkräfte nach Gutdünken Empfehlungen für weiterführende Schulen bescheinigen. Einem meiner Kinder wollte die Klassenlehrerin der Grundschule keine Gymnasialempfehlung geben. Begründung: das Kind sei zu lebhaft und könne dort nicht bestehen. Nach vielen Diskussionen hat sie ihm die bedingte Gymnasialempfehlung ausgestellt. Bis jetzt schafft es das Gymnasium gut und ist sichtlich aufgeblüht. Mit seiner Lebhaftigkeit können die Lehrkräfte umgehen.
Meine Kinder beklagen sich teilweise über überlastete, unfreundliche, unbeherrschte Lehrer. Manche Lehrer hätten mit ihrer Unterrichtsführung die Wirkung einer Schlaftablette auf sie. Ich hatte teilweise Lehrer, die ihren Unterricht spannend wie einen Krimi gestalteten. Sie konnten jedes Thema an die Schüler bringen. Bei anderen musste ich aufpassen, dass ich nicht einschlafe.
Ähnlich erging es mir an der Uni. Manche Professoren haben uns in ihren Vorlesungen in ihren Bann gezogen. Das langweiligste und trockenste Thema wurde interessant. Andere boten nichts anderes als 'laberrhabarber'. Viele Tutoren, junge StudentInnen, konnten den Stoff besser vermitteln. In den Schulen zeigen die Refendare mit ihrer unkonventionellen Art, dass man Bildung anders vermitteln kann. Die wenigsten werden, trotz Fachlehrermangel, eingestellt. Die Kinder bedauern es, wenn sie gehen müssen.
Die Vorschläge eines meiner Kinder:
'Wie wäre es z.B. mit mehr Wahlpflichtfächern in den unteren Stufen? Wer muss jahrelang Chemie oder Physik lernen, um dann zu wissen, wo Ytterbium (was immer das auch sein mag) im Periodensystem steht und wie Rutherfords Atommodell (dito) aussieht?Auch höhere Mathematik ist zu nichts zu gebrauchen. Wann muss man schon mal irreelle oder irrationale Zahlen verwenden, fragt sich so mancher Schüler. Andere fragen sich: Was ist das bitteschön?
Für Religion sollte man frühzeitig Ethik UND Philosophie alternativ anbieten. Mit "Philo" (das ist die sog. "Schüler-Steno") meine ich nicht das, was bisher als Solches angegeben wird, wobei der Unterschied zu Reli (Achtung, erneut Schüler-Steno) nämlich bloß im Fehlen eines Gottes besteht; Themen stimmen überein. Ich hätte dieses Fach gerne als eine Art Geschichte der Philosophie, am besten mit Jostein Gaarders Buch "Sofies Welt" als Unterrichtslektüre. Das wäre wirklich eine gute Änderung.
Auch sollten Kunst und Musik bloß noch freiwillig angeboten werden, weil man dort einfach ein Händchen für braucht. Sport sollte - allein schon aus Gesundheitsgründen - Pflichtfach, aber ohne Noten bleiben.
Des Weiteren sollte ein Latinum schon vor dem Oberstufenkurs vergeben werden, damit auch Schüler, die schlecht in Latein sind, Selbiges nicht als Abiturfach wählen müssen (womit sie womöglich den Numerus Clausus für den Studiengang, den sie mit dem Latinum anstrebten - u.a. Germanisten, Journalisten, Historiker und sonstige Sprachstudierende brauchen ein Latinum -, nicht mehr schaffen).
Neben Latein und Französisch sollte obendrein auch noch Spanisch als zweite Fremdsprache angeboten werden, da es mindestens genauso wichtig wie Englisch und um Meilen wichtiger als Französisch oder Italienisch ist. Ganz nebenbei ist es noch eine der schönsten Sprachen der Welt - und nicht einmal im Italienischen kann man so wunderschöne Fluch-, Schimpf- und Hasstiraden loslassen. Ein Traum!
Auch das Zentralabitur sollte nicht bestehen. Als Kurse darf man neben den vorgegebenen Fächern Deutsch, Englisch und Mathe (immer diese Kurzvarianten...) eine zweite Fremdsprache und ein Freifach wählen. Zum Vergleich: vorher gab es dieses Verfahren bei der Leistungskurswahl (zu den LKs gab es noch diverse Grundkurse zu wählen, die den Stundenplan ergänzten) :
1. Ein Hauptfach (Deutsch/Mathe/Englisch)
2.Eine Sprache (Englisch/Latein/Französisch/...)
3.Eine Naturwissenschaft (Bio/Chemie/Physik/teilweise auch Mathe)
4.+5.Zwei Freiwahlfächer
Generell finde ich es in Ordnung, Themengebiete (z.B. "Fremdsprachen") vorauszusetzen, aber was macht jemand, der Deutsch auf Lehramt studieren will- und das als Fremdsprache? 1-2 weitere Sprachabiturkurse sind Voraussetzung, um Leuten Deutsch (als Fremdsprache) beizubringen, zusätzlich noch Latein (s.o.)! Wer soll das wählen können?
Außerdem sollte eine kurze Einführung in den Gebrauch von PCs folgen, aber ohne kompletten Pflichtkurs in Informatik. Je früher die Kinder blind zu schreiben und grundlegende Dinge anzuwenden lernen, desto besser! Gegen den Komplettkurs als Pflicht bin ich, weil man nicht unbedingt programmieren können muss. Wie wäre es damit, werte Kultusminister?'
http://www.spiegel.de/spiegelspecial/0,1518,574436,00.htm
Das Studieren und die Studiengebühren muss man finanzieren können. Zur Hochschulsituation und den Bachelor- und Master-Studiengängen, die kaum Raum für Lernfreiheit lassen, sind diese Artikel lesenswert:
http://www.berlinerumschau.com/index.php?set_language=de&cccpage=10092008ArtikelPolitikMuellermertens1
http://www.spiegel.de/spiegelspecial/0,1518,574436-6,00.html
1 Kommentar:
Sehr treffender Bericht über die Ungerechtigkeiten in unserer Gesellschaft, Respekt!
MfG
Jens Bücher
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