Gönnerhaft verkündete unser Oberbürgermeister, dass es für Familien nun die Familienkarte bei der Stadtverwaltung zu beantragen gibt mit ganz tollen Vergünstigungen. Ab jetzt sind wir stolze Eigentümer einer Familienkarte. Wenn ich mir die Vergünstigungen anschaue, frage ich mich, ob die Politik und die Anbieter uns auf den Arm nehmen wollen.
Buchhandlungen bieten ein paar Prozente für DVDs, Lillifee-Produkte und Kinderhörbücher an. Sinnvoller wären Prozente für Kinder- und Jugendbücher gewesen. Noch viel sinnvoller wären Prozente für Schulbücher. So fördert man nicht das Lesen bei Kindern. Geschäfte bieten vergünstigt bei Kindern beliebte Produkte an und Schulmaterialien, Kinderschuhe und -kleidung. Bei diesen Geschäften handelt es sich um Geschäfte, die Familien mit einem begrenztem Budget gar nicht erst ansteuern. Was dort vergünstigt angeboten wird, bekommt man in gleicher Qualität woanders preiswerter. Bei den meisten wird eine Bedingung angeknüpft wie Club- und Kundenkarten.
Eine bekannte Fast-Foodkette lockt mit einem Gratisgetränk, wenn man das Maxi-Menü bestellt. Restaurants bieten ein Kindereis oder -getränk gratis an, wenn das Kind vorher eine Mahlzeit verzehrt hat. Ein Lokal gibt 15 % Prozent Rabatt auf den gesamten Getränke- und Speiseverzehr. Bei Umsonstessen für Kinder, wenn beide Elternteile ein Gericht bestellen, ist es beliebt das Kindesalter auf bis zu 10 Jahre herabzusetzen. Klar, wenn sie älter sind essen sie eine Erwachsenenportion.
Bei Kultur und Bildung sieht es so aus: ein Museum, das Kinder nicht die Bohne interessiert, bietet für Kinder von Alleinerziehenden freien Eintritt an. Andere reduzieren bei bestimmten Veranstaltungen um ein paar Prozent. Den Veranstaltungskalener haben wir uns besorgt. Das interessiert Kinder nicht. Die Familienbildungsstätten bieten eine einmalige Schnupperteilnahme für ihre Eltern-Kind-Kurse an, aber keine Prozente bei den Kursgebühren.
Beim Sportangebot sind die städtischen Bäder ein 'Highlight'. Man spart sage und schreibe 20 Cent. Das ist doch was. Eine Sporthalle gibt ein wenig Rabatt auf Ferienkurse. Ein Sportstudio gibt ein wenig Rabatt auf Abonnements mit einer Mindestlaufzeit von sechs Monaten. Gelobt seien die Sportvereine, die zwei- bis dreiwöchige Gratisprobetrainings anbieten. Natürlich hoffen sie auf Mitglieder, aber ihre Vereinsbeiträge sind für Kinder bezahlbar. Wenn ich mir alle anderen Vergünstigungen von Freizeitparks, Reiterhöfen, nicht städtischen Bädern, etc. durchlese, sind das Dinge, die sich Sozialschwache und Familien, die genau mit ihrem Geld rechnen müssen, trotzdem nicht leisten können. Trotz Rabatt zahlt eine vierköpfige Familie mit zwei Kindern unter 11 Jahren für einen Freizeitpark 'nur' 80 €.
Es sind ermäßigte Angebote (zwischen 5 und 10%) von Dienstleistern, Handwerksbetrieben, Fotostudios, Reisebüros, etc. dabei. Alles, was sich der Normalbürger nicht leisten kann. Das haben sie toll gemacht Herr Oberbürgermeister. Das riecht nach Nepper, Schlepper, Bauernfänger.
Engagierte BürgerInnen haben mit politischer Unterstützung fleißig Unterschriften gesammelt für einen Sozialpass, der den Sozialschwachen der Stadt zugute kommen soll.
Menschen, die unterhalb der Armutsgrenze leben, sollen kostenlos oder zu deutlich reduzierten Preisen städtische Kultur-, Sozial- und Freizeiteinrichtungen besuchen und die öffentlichen Verkehrsmittel nutzen können. Viele Stadtteile haben keine oder qualitativ schlechte weiterführende Schulen. Die Kinder brauchen ein Monatsticket, sonst müssen sie in den Herbst- und Wintermonaten lange Strecken zu Fuß oder mit dem Fahrrad zurücklegen, falls ein Rad vorhanden ist.
Für die Erwachsenen sollen die Wege zu Behörden, Ärzten, Bewerbungsgesprächen und Veranstaltungen erleichtert werden. Kommt man durchgeschwitzt und nassgeregnet zu einem Vorstellungsgespräch, macht es nicht den besten Eindruck. Wenn man die Stellenanzeigen studiert, ist der Trend eindeutig erkennbar: Zeitarbeitsfirmen und Call Center suchen, Mini- und Teilzeitjobs werden angeboten. Aber wir brauchen uns ja keine Sorgen zu machen. Wir haben den Aufschwung, wir streben die Vollbeschäftigung an und die Finanzkrise wird uns auf keinen Fall treffen, sagen unsere 'versierten' Politiker.
Der Bürgerantrag wurde aus formalen Gründen nicht zugelassen, weil man statt drei Vertretungsberechtigte zu nennen, vier Namen benannt hatte. Das nennt man einen Formfehler. Diese Initiative wird auch von Menschen unterstützt, die nicht zum Kreis der Betroffenen gehören. Wir sehen, was in unserer Stadt passiert. Wir sehen die Kinder, die ausgegrenzt werden, weil sie abgewetzte geflickte Sachen tragen und Schuhe, die defekt oder zu klein sind. Wir sehen, dass sie sich an den Freizeitaktivitäten ihrer Mitschüler und Freunde aus Geldmangel nicht beteiligen können. Wir sehen, dass die Essenstafel der Stadt aus allen Nähten platzt.
Wir sehen die Arbeitslosen, die sich, um ein bisschen geselliges Leben zu haben, an öffentlichen Plätzen oder in Parks treffen, damit sie nicht komplett isoliert sind. Nein, sie haben nicht die Schnapsflasche am dicken Zeh baumeln. Sie wollen Gesellschaft und reden können. Der Aufenthalt in Lokalen ist für sie unbezahlbar. Wenn es kälter wird, ist diese Möglichkeit für sie beendet. Wir sehen die Geringverdiener, die den ganzen Tag arbeiten und denen unter dem Strich kaum etwas übrig bleibt.
Wir haben den Eindruck, man will den Pass nicht zulassen, weil er die Stadt Geld kostet, aber wir geben nicht auf. Wenn man darauf achtet, wofür die Gelder verschleudert werden, ist es der blanke Hohn. In anderen Städten ist der Sozialpass längst Standard.
Für meine Kinder ist es längst Standard, dass sie alle halbe Jahre ihre Zimmer und Schränke 'ausmisten' müssen. Guterhaltende Kleidung von ihnen, aus denen sie herausgewachsen sind und guterhaltenes Spielzeug und Bücher werden den Bedürftigen der Stadt gebracht. Das können wir alle tun. Die Altkleidersammlungen halten nicht das, was sie versprechen. Entweder werden die Sachen verarbeitet oder gewinnbringend verkauft. Wenn man auf Trödelmärkten Sachen verkauft, muss man damit rechnen, dass sie am nächsten Stand teurer verkauft werden oder der Käufer genau das tut, was die Organisationen damit tun: meistbietend verscherbeln.
© 2008 Copyright Kinder-Alarm Schwalbe 29.9.2008
1 Kommentar:
Gutmenschen sind das alle.
Das Deckmäntelchen des Sozialen für die Arbeitsstunden anlegen und danach fröhlich Konsumieren gehen.
Der Tafelladen in unserer Stadt ist gleich ausgelagert, so das auch niemand in die Nähe der besser Betagten kommt.
Die Werbung und Druckkosten hätte den Armen eurer Stadt bestimmt besser getan, aber der Konsum bestimmt.
So habt ihr an Geld schwachen, die Arbeitsplätze von so vielen Gutmenschen gerettet :)
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