Mittwoch, 5. Mai 2010

Die verkannte Jugend Teil 2

Ja, die Jugend ist "grottenschlecht". Bei Klassenfahrten bestand meine Brut darauf alles doppelt einpacken zu wollen. Zwei Schlafsäcke, zwei Iso-Matten, Kleidung und Schuhe in mehrfacher Ausführung. Ein Proviantrucksack mit dem man eine Kompanie hätte versorgen können.

Befreundete Mütter riefen an und erzählten am Tag vor der Abfahrt von ihren Kindern dasselbe. Wir haben ihnen auf den Zahn gefühlt. Sie haben Klassenkameraden, deren Eltern sich eine Klassenfahrt nicht leisten können. Bei den Erwerbslosen hat das Amt die Kosten übernommen (so werden Steuergelder zur Abwechslung sinnvoll eingesetzt), bei den Geringverdienern der schulische Förderverein. Sie wussten, dass es ihren Klassenkameraden an vielem mangelt. Um ihnen Schmach und Peinlichkeit zu ersparen, wollten sie ihnen aushelfen. Mensch Mama, x hat keine Wanderschuhe, y keinen Schlafsack, z nur eine heile Hose usw.

Ok, wir haben für die Kinder extra Taschen und Proviantrucksäcke gepackt, weil ich der Meinung war, dass die Starhänseler und -mobber das nicht mitkriegen müssen. Wir sind zu ihnen nach Hause gefahren und haben ihnen die Taschen unauffällig übergeben. Sie haben sich gefreut. Den Eltern war es eher peinlich. Das muss es nicht sein. Armut ist keine Schande. Eine Schande ist, dass es Armut gibt. Die Sachen konnten sie behalten.

Wir sind nicht reich. Wir haben eine schenkwütige Verwandtschaft. Die Verwandtschaft beklagt sich, dass unsere Kinder selten materielle Wünsche äußern. Was möchtest du zum Geburtstag, zu Ostern, zu Weihnachten? Antwort: Frieden auf der Welt. Erwachsene, die sich nicht streiten und auf unsere Kosten auskotzen. Dann gibt es halt das dreißigste T-Shirt, den zwanzigsten Pullover, noch ein paar Socken... Den Überfluss braucht kein Mensch. Die Antwort auf ihre Fragen bleibt bei der Verwandtschaft außen vor.

Unsere Kinder machen im Mai die Lernstandserhebungen und die zentralen Abschlussprüfungen. Letzteres ist die Vorbereitung auf das Abitur. Sie hätten gerne die Schwätzer dabei, die behaupten sie seien dumm, faul, nichtsnutzig, ausbildungsunfähig etc. Topf die Watte quillt: die meisten Erwachsenen würden jämmerlich versagen.

Wenn ich in die Mathebücher meiner Kinder gucke, kräuseln sich bei mir die Nackenhaare. Verdammt lange her, dass wir uns mit etwas beschäftigen mussten, was wir nie im Leben gebraucht haben. Bei den Schulgeschichtsbüchern bekomme ich einen Anfall. Es hat sich nichts geändert. Die Zusatzliteratur ist die Gleiche geblieben. Ich habe die Bücher alle noch. Sie dürfen sie aber nicht benutzen, weil die Verlage sie neu drucken (money makes the world go round) und die zitierten Zeilen wegen der anderen Seitenzahl nicht übereinstimmen. Die Kinder haben den Mut zu zweifeln.

Heute war eine Umfrage in der Schule zum Afghanistaneinsatz der BW. Nein, die Umfrage war nicht geheim. Fingerzeig. 60 % der Schöööler haben den Einsatz befürwortet. Wäre die Umfrage geheim verlaufen, wäre das Ergebnis vermutlich anders gewesen. Wir müssen ja systemkonform sein und wollen nicht anecken?! Meine Brut und ihre Kumpels haben die Finger nach unten gehalten. Tapfer.

Die Hausaufgabe meines Jüngsten: Wie siehst du die Griechenlandhilfe? Er hat ziemlich kritisch geantwortet. Kein: die Griechen sind selber schuld. Er hat die Verantwortlichen genannt. "Mama, ich weiß, was die hören wollen. Das will ich nicht antworten. Stehst du hinter mir, wenn der Lehrer mich anmacht?" Ja sicher datt. Das ist ja auch kein Dünnbratzenzeitungsleser. Wahrscheinlich kommt das jetzt in die Schülerakte? Sie wussten bisher nicht, dass es Akten über Ihre Kinder und Ihr Schülerverhalten gibt? Erkundigen Sie sich.

Sie wissen nicht, was in Ihrer Schufa-Akte steht? Wer speichert was über mich?

Wenn ein Kind weiß, welche Antwort es geben soll und welche es nicht geben möchte, ist es im Denken weit voraus.

Wir sind gespannt, wann wir wieder in der Schule antanzen dürfen. Wenn Sie Ihre Kinder unterstützen wollen, dann stehen Sie zu Ihnen. Das sind kritische Denker, wenn man ihnen ihre Denke nicht frühzeitig genommen hat. Wer datt Kölsch nit verstonnt, liest die Untertitel.

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