Montag, 3. Mai 2010

Die verkannte Jugend oder

Hauptschulabsolventen und/oder "Hartz"-Kinder sind die Opfer der Gesellschaft.
Wir Jugendlichen sind es leid. Wir sind angeblich Amokläufer, Kriminelle, Komasäufer, drogenabhängig, ausbildungsunfähig, zu doof, spaßpädagogisch verseucht, faul, ADHS-gestört, linksradikal, autonome Schläger, rechtsradikal, gewalttätig, nicht leistungsorientiert, hängen zu viel am PC herum, wissen ihn nicht sinnvoll zu nutzen, spielen Killerspiele, chatten und simsen den ganzen Tag. Wir können angeblich nicht lesen, schreiben und rechnen. Wir streiten nicht ab, dass es das alles gibt.

Der Prozentsatz, an dem man sich aufhängt, ist gering. Experten und Politik werkeln an den Symptomen. Ursachen scheinen ihnen unbekannt zu sein. Sie wissen genau, wie es um uns steht und wo die Probleme liegen. Sie haben für alles eine Patentlösung. Die Medien sind mit ihrer gezielten Hetze gegen uns Jugendliche ein williger Handlanger.

Ein deutscher Richter kam auf die Idee straffällig gewordene Jugendliche dazu zu verurteilen ein Buch zu lesen. Das suggeriert, dass sie nicht lesen. Welches Buch sollen sie lesen? Ein Talkshow-Gast behauptete, die Eltern würden den Kinder nicht mehr vorlesen. Unsere Eltern haben uns jahrelang vorgelesen. Das Schönste dabei war das kuschelige geborgene Gefühl. Wir haben uns unterschiedlich entwickelt. Von der Leseratte über Gelegenheitsleser bis zum Freizeitleseverweigerer.

Wir stehen jeden Morgen um 6.45 h auf. Einige unserer Mitschüler müssen noch früher aufstehen, weil sie einen längeren Anfahrtsweg haben. Wir haben 30 - 35 Unterrichtsstunden pro Woche. Nach dem Mittagessen machen wir Hausaufgaben und üben. Das ist ein Arbeitstag. Wir sind froh, dass unsere Mütter und Väter es einrichten können, dass immer einer von ihnen für uns da ist. Andere haben nicht so viel Glück oder ihnen fehlen die Möglichkeiten. Für Freizeit ist dank G8 nicht viel Platz.

Nein, wir sind keine "Hartz"-Kinder. Wir sehen und erleben, was mit ihnen passiert. Wir verteidigen sie, wenn sie als Schmarotzerkinder bezeichnet werden. Das hat uns den Ruf eingebracht Unterschichtlerfreunde zu sein. Wir verteidigen auch unsere Mitschüler mit Migrationshintergrund. In unseren Klassen sind Schüler aus aller Herren Länder. Angegriffen werden allerdings "nur" Muslime. Das ist der Islamhetze zu verdanken. Uns stört es nicht, wenn die Mädchen ein Kopftuch tragen. Sie stört es ja auch nicht, dass wir unseren coolen Cappys tragen.

Bei uns fällt regelmäßig der Unterricht aus. Falls es überhaupt Vertretungslehrer gibt, ist es reine Beschäftigungstherapie. Es fehlen Lehrkräfte. Im naturwissenschaftlichen Bereich ist es besonders extrem. Sie werden schon an der Uni von Unternehmen abgeworben. Wir haben zwei Lehrkräfte, die sich nicht haben abwerben lassen. Sie sind ihrem Ziel Lehrer zu werden gefolgt. Das sind verdammt gute Lehrer. Wir haben zwei türkischstämmige Lehrer. Bei ihnen macht der Unterricht wegen ihrer unkonventionellen Art besonders viel Spaß. In Fremdsprachen haben wir Lehrer, die ihre Muttersprache unterrichten. Wir haben freiwillig Spanisch und Russisch belegt, weil ihre lebhafte Art zu unterrichten ein Erlebnis ist.

Wir sollen das Abi in verkürzter Zeit schaffen. Ein Jahr weniger. Regelmäßige Unterrichtsausfälle. Den Kommunen fehlt das Geld. Unsere Eltern haben Klassenzimmer auf ihre Kosten und mit ihrer Arbeitskraft am Wochenende renoviert. Wer kein Geld übrig hatte, hat mitgeholfen. Die veralteten sanitären Anlagen in Schulen sind unter aller Kanone.

Wo bleiben Positivberichte über Kinder und Jugendliche? Wir helfen uns. Wir haben Mitschüler mit Schwachstellen. Wir geben ihnen gratis Nachhilfe. Sie helfen uns im Gegenzug bei unseren Schwachstellen. Viele von uns sind sozial engagiert. Wir interessieren uns für Politik. Wir setzen uns ein. Bei den Bildungsstreiks hatten wir unangenehme Erlebnisse mit der Exekutive. Wir hätten uns gewünscht, dass mehr Erwachsene auf unserer Seite gestanden hätten.

Die Medien öden uns an. Das ist Grimms Märchenstunde. Sie picken sich Negativbeispiele heraus, um eine ganze Generation zu demotivieren. Wenn wir Nachrichten lesen wollen, gehen wir ins "böse" Internet. Das ist unsere Zeitung. Die Blogger lehnen sich weit aus dem Fenster. Ohne sie wüssten wir viele Dinge nicht. Sie haben die Aufgabe der Medien übernommen. Wir haben noch nie geraucht, gesoffen oder gekifft. Wir waren noch nie gewalttätig. Wir sind noch nie mit dem Gesetz in Konflikt geraten. Wenn Sie glauben, dass wir die Zusammenhänge nicht erkennen, haben Sie sich getäuscht. Leider dürfen wir nicht wählen, weil wir minderjährig sind.

Wir danken dem Kinder-Alarm, dass er uns ein Sprachrohr bietet.
Ein Lied für die Erwachsenen:



Fortsetzung folgt.

Nachtrag von Schwalbe:
Hauptschulabsolventen und/oder "Hartz"-Kinder sind die Opfer der Gesellschaft. Sie stellt man an den Pranger.

1 Kommentar:

Desparada-News hat gesagt…

Stimmt alles. Bravo. Jene, die nicht das Glück haben, dass sich wer um sie kümmert, und zwar richtig, treiben Blödsinn und fallen dann auf. Daran wird dann alles festgemacht und heftig verallgemeinert. Andere lassen sich manchmal mitziehen, dann kommt der "verderbliche Einfluss" ins Spiel. Statt vernünftige Politik für alle zu machen, wird nur noch aufeinander gehetzt.
Das Schlimme ist, dass so getan wird, als müsse das die Jugend nicht mitbekommen, als würden das Kinder nicht irgendwie begreifen.
Ich frage mich, warum sich Erwachsene nicht erinnern wollen. Vielleicht weil es für sie auch schrecklich war, alles mitzubekommen, und nicht ernst genommen zu werden. Aber, gerade daran müßten sie sich dann erinnern, und es ändern wollen.
Ach, es gäbe so viel zu sagen, denn zu allen Zeiten wurde gegen die Kinder und die Jugend vor allem gewettert. Hört denn das nie auf?...