Mittwoch, 19. Mai 2010

Die verkannte Jugend Teil 4

Am 9. Mai war die NRW-Landtagswahl und gleichzeitig Muttertag. Unsere Mutter hat nie etwas auf den Muttertag gegeben. Bis auf eine kurze Mittagspause war sie an diesem Sonntag im Stimmbezirk als Schriftführerin tätig. Sie meinte, sie macht das lieber alles selber bevor sie andere an die Listen und Unterlagen läßt, die ihr Fehler hereinhauen. Sie wolle um 20.00 h zurück sein.

Wir waren mit unserem Vater unterwegs. Wir haben sie nach Wahlende im Stimmbezirk besucht. Sie zählte und rechnete und meinte, wenn alle Zahlen übereinstimmen, käme sie nach Hause. Wir haben sie gefragt, was für ein Tag sei. Sie meinte es ist der NRW-Landtagstag. Den Muttertag hatte sie nicht wahrgenommen.

Wir haben eins ihrer Lieblingsgerichte gekocht. Sie kam um 20.00 h, sah müde aus und war hungrig. Sie sagte, es riecht nach rot-rot-grün, aber das wird schwarz-rot. Schmeckt gut Kinder und tätschelte uns die Wangen. Wir haben ihr ein Paket gepackt. Sie mag den Geschmack und den Geruch von Vanille. Sie hat das Geschenkpapier zerrissen (das tut sie immer), sah uns an und lächelte. Sie hat den Paketinhalt angestarrt und gesagt, dass wir ihre keine größere Freude hätten machen können. Vanille. Badesalz, Duschgel, Körperlotion. Vanillekekse. Eine Woche hat sie immer wieder auf den Paketinhalt geschaut. Dann fing sie an es zu benutzen. Jetzt riecht es nach Vanille und die Vanillekipferl (sie nennt mich den Backboy) gehören ihr. Sie hat uns kochen und backen beigebracht und meint, dass wir die Küche in ein Schlachtfeld verwandeln. Wir helfen ja beim Aufräumen.

Sie hat uns Anekdoten aus dem Wahllokal über die Erwachsenen erzählt. Die meisten Leute waren über die Länge des Stimmzettels irritiert. Ein Mann meinte, ob das ein Meter sei. Meine Mutter meinte, warten sie ab, bei der nächsten Wahl sind das drei Meter. Ein Mann fragte, ob er einen Säbel bekäme, wenn er die Piraten wählt. Eine Frau schüttelte den Kopf über die Rentnerpartei. Wollen die etwa noch mehr Rente? Eine Frau hielt den ausgefüllten Stimmzettel hoch und fragte, ob sie alles richtig gemacht habe. Eine Gruppe älterer Männer und Frauen kam. Sie hatten alle die gleiche Adresse. Unsere Mutter fragte, ob dort ein Nest sei und sie bekam zur Antwort: "Wir sind die Rentnerterrortruppe". Einigen Wahlberechtigten mussten die Wahlhelfer sogar die Bedeutung der Erst- und Zweitstimme erklären. Sie hat uns noch mehr erzählt. Wir haben nur noch gelacht.

Wissen Sie, es ist so einfach einem Menschen eine Freude zu bereiten. Es braucht keine Blumen. Es braucht Anerkennung. Wir müssen uns allen zuhören und die Vorlieben und Ansichten des anderen erkennen. Unsere Mutter hat uns den Verstand geschärft. Sie hat in der Geschichte gewühlt. Sie hat uns die Weltliteraturklassiker nahegelegt und gesagt, dass wir hinterfragen müssen. Genau das tun wir. Dann sind wir aber Tellolisten. Siehe Bangkok.

Sie guckt sich mit uns bedingt den TV-Kram an und ihre Kommentare sind reif für eine Comedy-Show. Mario Barth würde blass werden. Wenn wir schreiben würden wie sie ihn nennt, würden wir eine Abmahnung bekommen.

Früher war unsere Mutter bei Vernissagen. Sie meint, sie hat sich geopfert, damit ihre Freundin nicht allein gehen muss. Ihre Freundin hat ihr Redeverbot erteilt. Mutti hat die wichtigen Mienen der Menschen studiert. Eines Tages hat sie das Redeverbot gebrochen. Sie stand vor dem Bild eines weltberühmten Künstlers. Es wurde gefragt: "Was wollte der Künstler uns damit sagen?". Unsere Mutter: "Da hat ein Dreijähriger Pinsel in die Farben gesteckt und die Farbe an die Leinwand geklatscht". Damit war sie unten durch und ihre Freundin wollte ihre Begleitung nicht mehr. Mutti meinte, es war höchste Zeit, dass sie ihre Freizeit nicht mehr mit so einem Unsinn verbringt.



Wie soll "die" Jugend werden bei dem, was Erwachsene uns vorleben? Wir haben den Wahlkampf verfolgt. Wir erleben, was davon übrig bleibt. Vorher hieß es Bildung, Bildung, Bildung. Das Ergebnis werden wohl Einsparungen bei der Bildung und Forschung sein. Eine Lüge folgt der anderen. Unsere Mutter sagt, wir sollen Bücher lesen. Das tun wir. Die Erwachsenen machen sich Sorgen wegen unserer Bildung? Wir machen uns Sorgen über den Bildungs- und Kenntnisstand von Erwachsenen.

Es grüßen angeblich "doofe ausbildungsunfähige" Jugendliche

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